hundersingen#2

P1120401

(in Würde altern.)

Vor zwanzig und ein paar wenige mehr jahren hatte ich die hälfte einer datsche angemietet. Hauptmieter war ein langer jugendfreund in B., der, bevor er nach B gegangen war, dort auf dem lande gewohnt hatte. die datsche war ein austrag, also ein leibgeding. Ein kleines haus abseits eines bauernhofes, aus den vermutlich zwanziger jahren, gedacht als altenteil der altbauern. Das kostete 50 mark im monat. Das haus stand und steht in hundersingen, ein stück hinter der schwäbischen alb, nahe munderkingen und ehingen an der donau, also im nördlichen oberschwaben. Es gibt noch ein anderes hundersingen, welches sich beim googeln nach vorne drängelt. dieses liegt ganz und gar auf der schwäbischen alb, aber es ist nicht jenes hundersingen, welches ich meine. Über zwei jahre fuhr ich immer wieder hin, meist frisch verliebt oder getrennt, aber auch über verrückte ostern oder sylvester oder einfach so, alleine. Eine gelbe telefonzelle voller spinnen und hörerfett dörflicher ohren stand nicht fern beim grundstück. Man musste mit feststoffen heizen und ein schöner alter holzherd war in der küche aufgebaut. neben dem plumpsklo hatte der freund eine duschkabine mit 15 litern warmen wassers installiert. Vor dem haus konnte man wunderbar federball spielen oder mit dem bauern einen plausch halten, der sich über dies fremde volk wunderte, es gleichsam tolerierte. Junge leute eben wahrscheinlich. Dann fuhr er mit dem subventionierten großtraktor davon auf seine wiesen und äcker, gütig winkend mit schweinepipi im runden StahlAnhänger.

Gestern am nachmittag stand dies häuschen in brandenburg. Es war meines. Eine lustige gesellschaft von menschen und piloten, allesamt freunde, feierte dort irgendetwas, was auch mit mir zu tun hatte. Ich hingegen wusste, abseits der feier, nicht mehr, wie der ort nun hiesse. Das war mir peinlich und eine Marter, und während ich noch in einer versteckten ecke des grundstückes darüber nervös nach dem namen meines brandenburgischen platzes suchte, bereiteten die piloten bereits gut gelaunt den ortsüblichen start ihrer propellermaschine vor. Ich habe ja eine datsche in B, eine atelierdatsche, diese steht in neukölln, aber eine verknüpfung von dorf und stadt gelang mir nicht, auch nicht beim aufwachen oder im wachen semiMeta. schon gar nicht mit piloten. Schließlich wurde halbschlaflich dafür gesorgt, dass die in gerader linie verlaufende hauptstrasse Kfz- und menschenfrei einem flugzeugstart vorbereitet werden konnte und eine Cessna hob ab bald wunderschön. Ich war beruhigt, fühlte ich mich doch verantwortlich für dies alles. Wer im Flugzeug saß, ich weiss es nicht. Ich jedenfalls nicht. Ich weiss nur, wahrscheinlich gibt es hie und da eine Brandenburgsehnsucht bei mir.

Beim Malen in kleinen subjektiven Ölstücken auf Pappe in Siena-gebrannt wieder eine beinahe Verachtung der supraAbstrakten. Kommt mir hinauf. Noch mehr der Konkreten. Mein steter innerer gegenWurf: „Die haben ja alle auch keine Kinder, wahrscheinlich.“ Ungerecht, ich weiss. Verwerflich vermutlich, und an der Sache daneben. Fast gemein. Während der Zeiten meines vorrübergehenden Konzeptes der eigenen beinahekonkreten Ungegenständlichkeit habe auch ich ein Ding und Werk nach dem Anderen rausgehauen, raushauen können. In Öl und groß, sogar vormittags verschlafen. Ohne große Gedanken am Sein (endlich). Und wenn es funktioniert und der Markt dazu, dann kann man sich sicherlich daran gewöhnen. Dann könnte man auch Leute einstellen theoretisch, die das für einen erledigen und man signiert dann rückseitig, später. Und die Ware reich platzieren. Die Konkreten jedoch schmeissen ja selbst noch die Abstrakten in deren Kunstpfanne in ihrem Fernsein jeglicher Äußerung und Laune. Auf der unangreifbaren und moralischen Suche nach einer Superobjektivität, die es nicht gibt. Die Konkreten sind Mensch, ganz ohne Liebeskummer, Fusspilz und Hämorrhoiden. Erstaunlich. Eine auch zeitgenössisch oftgewollte Kühlheit, die mich manchmal nur noch Maulhalten lässt und zunehmend abstößt, auch in v.a. ihrem Retro, zumal die Pioniere jener Strömungen teils ja schon lange in Friedwäldern meist irgendwie buddhistisch begraben sind. Eine Psychologiestellung also, mehr Kopf als Pinsel, eine zeitlos ledigliche Typfrage -vermutlich.

Ich bewundere und anerkannte stets, wenn jemand sich endlich mutig herauswagte im/ausdem jeweiligen Selbst, auch vor der Internetzeit, dieser Andauerung allseitiger Berühmtheit. Sich angreifbar macht. Und sich nicht verbarg hinter kaschierenden Eigenkonzeptualisierungen. Und aber wenn man dann eine komplizierte allgemeingültige Emotion zeigen mag, dann muss man ungleich mehr arbeiten für zufriedenstellende sichtbare Ergebnisse. Weil sich dann nämlich täglich selbst eine Befragung einstellen sollte, im Wurf wie im Werk, im kleinsten aller Striche und Gedankenspiele. Das gehört dazu, auch wenn das wahrscheinlich schon immer so war und immer schon ggf. vermieden werden sollte und wollte, neben Sonstigem auch vom Anreiz der grossen Warhol’schen Vermeidung (und den Überichs dieser Welt). Es ist eben Arbeit.

Ursprünglich. Das mümmelt.

Die johanniter bringen jetzt hausmannskost für die alte dame, die das häuschen hinter der schwäbischen alb noch kennt, zweimal wöchentlich. Und immer noch wünscht sie sich, dass ich vielleicht endlich einmal blumen male (wie der vater). Das essen reicht dann für mehrere mahlzeiten, aber nur, wenn ich der alten dame nichts wegfuttere, wenn’s mal wieder so gut riecht. Futterneid ist nicht bewahrt vor alter, wie ja der ganze konkrete rest auch nicht.


Und wenn Sie heute Abend noch nichts Anderes vorhaben, dann kommen Sie doch gerne zur Eröffnung der Ausstellung „Wunderkammer Vinyl“ vorbei. In der Galerie Oberwelt e.V., Reinsburgstraße 93 in 70197 Stuttgart ab 19.00 Uhr. Sie sind herzlich eingeladen! >>> www.oberwelt.de

6 Gedanken zu „hundersingen#2“

  1. lebenserfahrung. sie haben etwas zum fliegen gebracht und sind dabei auf dem boden geblieben, dit is kunst. schöne arbeiten da oben, wünsche ein volles haus.

  2. danke, frau casino. es ist eine sehr schöne groupshow (gruppenausstellung) geworden. und das singen, pfeifen und wippen zu vinyl und guitarre – zusammen mit dem wunderbaren Bob Weissenhofer – hat auch geklappt, obwohl es brechend voll gewesen ist. dazu so manches wiedersehen. auf dem rückweg über leere autobahnen und durch finstere wälder stellte ich mir kurz vor, ich führe durch brandenburg, auch das hat funktioniert bis zur kleinen steilen bebenhäuser steige, die mir immer wohlig den ruf der heimat bedeutet.

  3. Ich bin mir sicher, ich habe etwas verpasst, weil ich nicht dabei sein konnte. Aber wenigstens den Satz nehme ich mit:
    „Sich angreifbar macht. Und sich nicht verbarg hinter kaschierenden Eigenkonzeptualisierungen.“ Und versuche dann weiter in Würde zu altern.

Schreibe einen Kommentar zu cas (Gast) Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert