(denn sie wissen nicht, was sie tun)

das waren sie jetzt also, diese 274 stunden im hopfenland. schönes kleines altes kirchlein. die baustelle zusammenpacken ein paar stunden früher als geplant. brot und wein für zwei monate und den winter. fast ein wenig wehmut ob der seltenen so überaus freundlichen bewirtung. ein wenig auch zugenommen, ein kleines bäuchelchen hat sich mir gebildet unter der pumpe, seitdem es regelmäßiges mittagessen gab am großfamiliären küchentische („steht dir gut, schneck!“ meint die bäuerin lachend). hausmannskost, täglich suppe gerührt, ausschließlich eigenes aus birnen, schweinen, puten, möhren, hühnern, roten rüben, makrelen und kraut und kirschen, „ihr wissts scho gell, fei alles bio!“. und nicht oft habe ich stets so fröhliche und gut gelaunte menschen erlebt. und so zufrieden herzlich.

dabei werden ja auch dort die päckchen ausgetragen. der großvater, eigentlich ein schelm, fragt, ob denn schon der zweiundzwanzigste november gewesen sei, das sei doch sein verwundungstag und normalerweise könne er da seit fünfundsechzig jahren nicht schlafen in der nacht. oder er müsse plötzlich heulen die ganze nacht lang, habe alpträume und würde fürchterlich schwitzen. aber es habe ihm ja sein leben gerettet, letztendlich. die oma nickt still. auf vorsichtige nachfrage verrät er mir zugewandt, es seien die beine gewesen. sein kamerad direkt vor ihm habe hingegen etwas „in den kopf abbekommen“ und dann winkt er ab und ich will gewiss nicht weiter fragen und das ist auch gut so. sein sohn von vis-a-vis am tische merkt nur noch an, „vadder, des is a drauma. dei drauma! drauma nennens des heit!“ und schon steht der nachtisch vor mir, kirschen unter vanillepudding im stilgläschen. ich bin ja eigentlich kein nachtischtyp, aber hier? und dann diese kutschenfahrt, zu der uns der mesner (woanders sagt man: der küster) eingeladen hatte, vom nachbarhof. auch er lacht eigentlich den ganzen tag entlang und wir können theoretisch ja bis nachts um zehn uhr arbeiten, wenn wir denn wollen, also sagt man nicht nein zu einer solchen schwerblütigen einladung, dazu an einem wunderschönen spätherbsttage mit decken um die städternierchen. auf dem rückweg in den flecken dann passieren wir ein kreuz am wege und leiser und ein bisschen wie plötzlich nebenbei bemerkt der alte mann, dass dort sein sohn ums leben kam, mit vierundzwanzig jahren an heiligdreikönig und er war „grad 100 tag verheiradt‘!“. der sohn und seine frau waren wohl bei dunkelheit vorschriftsmäßig am straßenrand, aus dem städchen kommend, nach hause in richtung des dorfes gelaufen, als ein auto ein anderes überholte und den sohn übersah dabei. auf dem kreuz, gerahmt von zwei mittlerweile stattlichen buchsbüschen, steht in kleiner inschrift „vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“. die witwe wohnt bis heute auf dem schwiegerelterlichen hofe. man erfährt, dass es vielleicht ein glück gewesen sei, dass das junge paar nicht eng umarmt gelaufen war im moment des unglückes, sonst würde auch sie, die frau, vielleicht nicht mehr leben.

der großvater ist sich ganz (!) sicher, dass es diese komische schweinegrippe auf gar keinen fall bis in den kleinen ort schaffen wird! aber ich verspreche beim verabschieden, dass ich es auf jeden fall (!) einmal wieder hierher schaffen werde. und dann berlin, „ja…, berlin!“. der enkel sei ja erst dort gewesen, geselle heizung/sanitär, im sommer. seine mutter, die bäuerin, flüstert mir später zu „…zur pornomesse!“. rollt mit den augen und dann lacht sie wieder so herzlich.

18 Gedanken zu „(denn sie wissen nicht, was sie tun)“

  1. REPLY:
    warm bittschön, nicht schwer! (liebe eugene: warm ist ja immer schwer, kalt ist ja immer leicht / abt.: luftfeuchte, aussalzungen usw.) /ps: die haben da übrigens eine ferienwohnung zum vermieten.

    ;)

  2. Wunderschön beschrieben. Es erinnert auch an eine Zeit ohne Handy, ohne Telefon, ja auch ohne Auto. Die Werte waren anders bestimmt.
    Familie – das hört man heraus.
    Ein Bewusstsein, – dem ich nachtrauere.
    Und ich werde an meine Kenntnis von Sephardus erinnert, eine Kenntnis, die ich Ihnen verdanke.
    Und ich erinnere mich an Ihren Beitrag über die Lehrlingszeit. Da scheinen schon noch wesentliche Bewusstseinsebenen durch zu schimmern.

  3. bester Herr Schneck, wollte mein Nachbar Boris auch schon immer mal. Vielleicht klappt es ja 2010, falls er nicht wieder vom Liegefahrrad fällt.

    Herzlich
    Ihr Erdge Schoss

  4. REPLY:
    wenn boris, bester erdge, seinen scheißigen liegegöppel gegen eine fünfgangnormalbyciclette mit satteltaschen/ouvert eintauscht, dann – richten sie ihm das bitte aus – dann können wir ja zusammen da hinfahren.

    derzeit absolut horny,
    ihr schneck

  5. Mir hätte die Überschrift „Denn sie wissen noch, was sie tun“ irgendwie besser gefallen, lieber Schneck. Erinnert mich an einen sehr guten Freund (86), welchen ich lange nicht sah. Hoffentlich nicht zu lange nicht. Wie nachfühlbar das klein bißchen Wehmut.

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