ehingen adD

die krankenpflegerin sagt zu mir soldatisch und vorwurfsvoll mit ihrem rollenden R „waRum haben sie ihRe mutteR gestöRt?“ und ich muss kurz an mich halten, um freundlich zu bleiben. normalerweise mag ich ja das osteuropäische. „ich wollte lediglich meine mutter besuchen, die vor drei tagen einmal wieder fast gestorben wäre!“ denke ich energisch in den himmel gerichtet und behalte aber alles für mich, denn es ist ein sehr gutes krankenhaus. bloß nichts falsches sagen und weitere unnötige baustellen oder löcher in strassen, die noch ausreichend befahrbar sind. und gegen die ich ja gar nichts habe, eigentlich.

bemerke wieder diese anhaltende latente gereiztheit bei mir. derzeit darf mir keineR… kommen. und keine. schon ein paar male bin ich aus dem nichts in dinge hineingeschlittert im vergangenen halben jahr, dessen glättungen unendliche unnötige energie verschlangen. ich bin doch gar nicht so einer, eigentlich. es ist eine anspannung, ein hin- und her mit der alten dame, sehr groß und emotional, wie feuer und wasser, die ganze zeit. und mit der sensenfrau, diesem unsäglichen sterbewesen. es ist ja eine sackgasse, vielleicht eine ganz beschauliche manches mal, aber es gibt da keine nebenwege mehr. es kommt nur darauf an, wie lang diese gasse ist, wie sie sich gestaltet und erstreckt, wie lange sie noch andauert oder wie schnell man da heineinläuft, in diesen weg ohne irgendwann mehr offenen türen an den seiten, aber mit hübschem pflaster auf dem boden und ausreichend proviant seitens sense.

wieder einmal war es das blut, es ist eben ihr thema. vielleicht ist es ja auch meines? ihre blutgerinnungswerte lagen nach einer infektion und nun wohl einer lungenentzündung bei null. auch die aufnehmende ärztin schaute mich überrascht an. übersäht mit hämatomen war sie, jede kleinste bockelei ein bluterguss, der nicht versiegt. sich nicht schließt. weshalb eine überweisung ins krankenhaus erfolgte, aus dem pflegeheim heraus, in dem sie sowieso noch nicht innerlich angekommen ist und das vielleicht auch gar nicht, niemals, will. wieder die fragen, ob noch verlegungen in andere kliniken erfolgen sollten, sollte sich ihr zustand verschlechtern. und unterschriften kraft generalvollmacht. es sind die blutverdünner, die sie all die letzten jahre vor herzgeschichten und schlaganfällen bewahrt haben.

sie fragt mich am freitag morgen mit einem klaren und kindlichen schmiss im offenen, fast schon pfiffigen blick, prothesenlos und beinahe neugierig, „muss ich denn jetzt sterben?“ was soll ich da sagen, mutter, antworte ich, ich weiss es nicht, vielleicht ja, vielleicht nein. ich weiss es einfach nicht, und füge hinzu „…aber liebe grüße von der kirschkern! du weisst doch, wer die kirschkern ist, oder?“ „na klar“ sagt sie fast empört und bemüht souverän und schmunzelt auf die ihrige norddeutsche art, (sie würde sagen: ostpreussisch), die ich so mag. nach all den jahren immer noch, immer wieder, und immer noch.

einige schwestern dort im krankenhaus kenne auch ich nun schon sehr lange. erinnerungen an das jahr 2015 kommen mir hoch, als ich überstürzt aus dem mittelmeerraum nach hause flog, da die mutter nachts gestürzt war und ungefähr „zwei liter? blut“ verloren hatte. schon damals sagten alle pflegekräfte und doktoren ebendort erstaunt und herzensgütig „wir hätten nicht unbedingt gedacht, dass sie das überlebt.“ trockenheit in wissenden und wohlwollenden auskünften ist balsam auf die seelen der angehörigen. dieses krankenhaus, wo sie nun gerade abermals liegt, ist das beste, was ich kenne. dort will ich auch mal sterben, auch wenn ich noch überhaupt keine lust drauf habe.

umso schöner am heutigen sonntag ein ausflug auf die schwäbische alb, der himmel blau, die sonne schön, das draußen schnatterkalt. der wagen schnurrt. die schwäb. alb, die ich so sehr mag. und die gegend kurz dahinter, das nördliche oberschwaben, das ich auch so sehr mag. frau mullah predigte vertretungsweise in einer sehr schönen kleinen kirche, danach gab es noch einen kirchenkaffee im gemeindehaus, auch insassen eines ländlich offenen strafvollzuges aus der ländlichen nähe waren dabei. da würde ich schon sagen, gelebtes christentum und alteuropäischer wertekanon. all die stillen, die eben machen und ihr machen nicht stets an die große glocke hängen, ein älterer landwirt leistet stets fahrdienst und holt und bringt die verhafteten, ohne mit irgendeiner wimper darüber zu zucken. jedenfalls kenn ich die wimper nicht.

danach weiter nach ehingen a.d.Donau, in die städtische galerie, wo ein sehr geschätzter kollege eine einzelausstellung eröffnete mit wunderbaren malereien. hier, in ehingen, hatte ich viele wertvolle kinderurlaube verbracht. und auch im gemeinsamen heranwachsen mit dem dort besuchten jugendfreund befinden sich einige schlüssel und markierungen meiner grundprägung. „wenn der S. barfuß auf einem weissen Schimmel zum Brötchenholen morgens ritt…“ und so weiter. auch heute habe ich dort ein paar menschen getroffen, mit deren erzählungen mich dies und das sehr verbindet. der kinderarzt, vater des jugendfreundes, munderkingen, rechtenstein. ob es tatsächlich ein weisser schimmel war, wer weiss das schon, hauptsache barfuß und auf einem pferd. im winter, zum brötchenholen für die WG, die seinerzeit platz im bauernhaus oder altenteil bekam, oft zunächst misstrauisch, aber mit eisblumen irgendwann nachts an den den einfach verglasten hundert jahre alten fenstern. /es war ein wunderschöner tag.

und nun ins bett sowie schlafen schnell. denn es könnte ja jederzeit das telefon klingeln, die mutter stürbe, wie seit dreieinhalb jahren jetzt schon.

urige weisen

Salman war beim Oberbürgermeister geladen. Offizieller Empfang für eine ausgewählte Gruppe Geflüchteter, die eine Ausbildung in der Stadt absolvieren. Die Ausbildungskosten des ersten halben Jahres übernimmt die Stadt, um den Betrieben das Risiko zu erleichtern und zu animieren. Schön. In Big-Family witzeln wir darüber: Salman als neuer Personenschützer von OB Palmer. Das wär‘ ja noch was. Schon immer haben wir gesagt, Salman wäre der geborene Bodyguard!

Den vom Oberbürgermeister angedachten „doppelten Spurwechsel“ (x) bejaht Salman vehement. Er ist schließlich Betroffener. Man kann sich natürlich innerlich winden dabei, aber auch mir erscheinen diese Vorschläge mittlerweile plausibel, zumindest deren Richtung, auch, weil ich die Jungs und die ganzen Flüchtlingsdinge ja nun seit 3 Jahren recht nah erlebe. Vor allem auch aus der Sicht von Bahram und Salman. Von Anfang an wundern sie sich, dass bei Vergehen im Grunde wenig relevante „Sanktionen“ folgen. Das schadet dann vor allem denjenigen, die sich anstrengen, die etwas wollen und sich ausserdem an die Regeln halten – sie, Salman und Bahram, wurden oft belächelt dafür von denjenigen Kumpels, die sich nicht um hiesige Gesetze und kollektives Miteinander scheren.

Oder, noch eher harmlos, das Gebot des vorgeschriebenen Schulbesuchs. Spürbare Konsequenzen in schlimmen und kriminellen Fällen (Verlegung zurück in Sammelunterkünfte und Sachleistungen anstatt Geld etc.) scheinen brauchbare Mittel zu sein. Nicht schön, aber eher und leider realistisch. Das hat nichts mit aufgeklärtem Geist zu tun, aber was und wer hat das schon noch derzeit überhaupt. Wo schwebt das? Aufklärung muss man ja auch wollen. Oder man lässt es bleiben.

Einfach, aber schade. Schade, aber einfach.

Und andererseits wäre es schön, wenn diese ganzen Anstrengungen derjenigen jungen Leute, die sich die größten Mühen geben, endlich auch einmal honoriert würden, zum Beispiel durch einen sichereren Aufenthaltsstatus. Was fair wäre, menschlich wohlwollend und auch ermutigend, weitere Schritte hierher zu gehen und anzukommen.

Bahram wird seine im September begonnene Ausbildung zum Industriekaufmann wohl leider erst einmal nicht erfolgreich weiterführen können. Wegen Sprachproblemen und schulischem Spezialwissen. Denn eigentlich spricht er hervorragend Deutsch und klug ist er auch. Es gab einen Termin, bei dem sich alle Beteiligten zusammensetzten, um zu beraten, wie es denn nun weiterginge. Jugendamt, Betreuer, die ausbildende (und nach wie vor sehr wohlwollende) Firma, eine sehr kompetente und hilfsbereite Vertreterin der IHK sowie Frau Mullah als Ex-Pflegemutter.

Schön ist, dass er den Mut nicht verliert. So scheint es jedenfalls / hoffentlich! Im Gegenteil. Auch wenn das alles so viel an Zeit braucht. Er möchte nun zwei weitere Jahre zur Schule gehen und dann seinen Realschulabschluß erlangen. Und nebenher weitere Intensivsprachkurse besuchen. Um dann, in zwei Jahren, vielleicht diese Ausbildung fortzusetzen. Es gibt nach wie vor einen guten Kontakt zu den Jungs. Ganz normal eben. Die „Kinder“ sind aus dem Haus und machen ihr Leben. Im besten Fall hat man weiter Fäden, Farben und Austauschendes. Und steht bereit, wenn es etwas zu helfen gibt. Bei der Kirschkern ist’s ja nicht anders. Und wieviele große Kinder ändern nicht nach einer ersten Zeit ihren beruflichen Fortgang? Hat man selber ja vielleicht auch getan. Eigentlich nichts ungewöhnliches. Wenn nur nicht immer noch so etwas wie „Abschiebung“ drohen würde. Wie will ein Mensch denn da sein Leben planen?

Ich hörte in der vergangenen Woche von einer Studie, wonach künftig pro Jahr ca. 250.000 Arbeitskräfte in’s Land geholt werden müssten. Kaum zu glauben, ganz schön viele. Auf jeden Fall doch bitteschön sollten unbedingt Bahram und Salman dazugehören, auch jenseits ihres derzeitigen Aufenthaltstitels: Beide sind mittlerweile so dermaßen integriert, davon können andere nur träumen. Und es wurde ja auch, mal ganz nüchtern, viel Geld erfolgreich investiert dafür bisher. Auch jenseits des Persönlichen, nämlich als Steuerzahler, werde ich mich also vehement für ein Bleiben der beiden Jungs einsetzen.

(…und dafür, dass Afghanistan endlich als ein nicht-sicheres Herkunftsland eingestuft wird. /ceterum censeo, sagte ich ja schon öfter.)

„denke schon länger, ich würde mich schnell und bald irgendwie in die – jene – wälder zurückziehen, wenn ich denn nur wüsste , wo diese wälder wären. selbst dann sogar, wenn ich das nicht wüsste, wo sie wären, würde ich mich in jene wälder zurückziehen. #“

„okay ist das, na logisch klar, so wie die jungfrau kind gebahr. doch schöner noch als unbefleckt (…)“

/auf Zetteln urige Weisen.

ich selbst habe in diesen tagen gouache-farbe angemischt zum retuschieren an den wandflächen eines treppenhauses des ausgehenden 19. jahrhunderts. da diese jedoch immer wieder unregelmäßig und unkontrollierbar in ihrer endgültigen farblichen erscheinungsform auftrocknete aufgrund der mannigfach unterschiedlichen untergründe, habe ich dann farbe auf der basis von alpinaweiß, also dispersionsfarbe, angemischt. zumal, da der ist-zustand der gefassten stuckoberflächen dispersionsfarbe der letzten maßnahme aus den 1960er-jahren zeigt. (das ist ja das problem.) in reversibel relevanten bereichen wird nun wasserlösliche temperafarbe angewandt, auf neueinputzungen und in beanspruchten partien (treppenhaus), zum beispiel direkt oberhalb des handlaufes am geländer, wird fortan farblich abgetönte dispersionsfarbe aufgebracht. normale und übliche kittungen und verspachtelungen erfolgen mittels gips/kalkglätte im verhältnis 1:1, für feine haarrisse wurde eine getönte kittmischung eigens entworfen und hergestellt, hierfür konnte das pigment TITANWEISS-NATUR der fa. kremer pigmente der gips/kalk-mischung im verhältnis 1:8 zugegeben werden. die mit H2O angemischte Melange wird händisch mit daumen oder zeigefinger in die haarrisse gewischt, nach ca. 10min werden mit einem schwamm und stets klarem wasser die ränder sorgsam versäubert. (…).

heute haben wir im garten einen jasim und zwei äpfelbäume gestutzt und geschnitten. die jungs und einer ihrer sehr netten freunde haben tatkräftig geholfen. afghanen sind weltmeister im bündel-schnüren, so dass ich mit drei fahrten zum nahen kommunalen häckselplatz alles schnittgut habe sofort entsorgen können. ein großes dankeschön für die mithilfe!

am montag ist restmüll. die tonne ist mal wieder voll vom haus. am dienstag abermals gelber sack, diesmal sind es 12 säcke voll mit haus, ein paar tetrapacks und urige weisen sind auch dabei. und heute vor acht jahren schaute ich mit frau mullah den film „Soul Kitchen“ an, was mich bis heute ganz besonders glücklich macht.