alte Männer, Interview.

Ach, alte weisse Männer. Verantwortlich sind sie. Für alles. Für Kriege, für den Klimawandel, für Trump, für lobbyistische Umweltgifte und für den Diesel. Sie vergewaltigen ihre Enkel, missbrauchen ihre Nichten und scheren sich sowieso lebenslang einen Dreck um die sensitive Sexualität ihrer Partnerinnen. Sie zeichnen für geringere Entlohnung von Frauen bei gleicher Arbeit, sie sind Reichsbürger oder identitär, sie töten mit Dronen, sie bestechen und sie lassen ganze Länder verhungern. Abends schlucken sie Viagra, nachts gehen sie zu Prostituierten, dort leben sie ihre Gewaltphantasien aus und am nächsten Tag stecken sie ihre ahnungslosen Frauen mit AIDS an. Oder sie verlassen ihre Frauen und überweisen keinerlei Alimente an die dann alleinerziehenden Mütter ihrer Kinder. Und sie pinkeln einsichtslos im Stehen bis ins hohe Alter.

Vor allem aber sind sie verantwortlich für den SUV. Den haben sie allein deshalb gebaut, damit ihre zwei Jahrzehnte jüngere und natürlich hübsche oft blonde Frau in Sicherheit vor den Übergriffen anderer alter weisser Männer zum Einkaufen fahren kann. Überhaupt, sie haben, als sie noch junge weisse Männer waren, die Maschine nur erfunden, damit sie schneller beim Weibchen sind. Schneller als andere Männer.

Ich schäme mich für sie.

„Es ging uns gut dort. Aber seit ein paar Jahren kamen die Taliban immer wieder ins Dorf und haben sich dann einfach die Sachen und die Tiere genommen, alles, was sie brauchten, einfach so. Sie haben die Schule bedroht, da musste man zwei Stunden hinlaufen, das war gefährlich wegen Entführungen. Weil die nicht möchten, dass es Schule gibt. Dann bin ich nicht mehr zur Schule gegangen, meine Eltern wollten das nicht mehr. Vor ungefähr drei Jahren dann sagten sie, dass sie meinen Vater und unsere ganze Familie töten würden, wenn wir nicht weggehen würden. Oder sie würden uns Kinder nehmen als Soldaten, und wenn wir nicht wollten, würden sie uns umbringen. Innerhalb von zwei Tagen sind wir dann weggegangen aus dem Dorf. Mein Vater konnte den Traktor, den wir hatten, noch verkaufen. Das Haus, das Land und die Tiere mussten wir dort lassen, sie haben alles einfach so weggenommen. Auch, weil wir Hazara und Schii sind. Wir sind dann alle nach Ghazni gegangen, das ist drei Stunden entfernt. Mein Vater ist jetzt Tagelöhner. In der Moschee haben sie ihn beleidigt und bedroht. Ich habe seit sechs Monaten nichts mehr gehört von meinen Eltern. (…)“

Alte Männer eben.

„Mein Vater ist dann nicht zurückgekommen. Er ist am Morgen aus dem Dorf zur Arbeit losgegangen wie immer. Wir wussten nicht, was passiert ist. Drei Tage später hat einer erzählt, dass irgendjemand morgens von einem Auto auf die Straße geworfen wurde. Da haben wir ihn gefunden, das war mein Vater. Er war Polizist und hat mit den Amerikanern gearbeitet. Die Amerikaner waren nett. Ich habe oft unsere Milch zu denen gebracht, die waren ja in unserem Dorf, da war ich vielleicht dreizehn, und da war so ein großer starker schwarzer Soldat, der hat immer gelacht, der war sehr nett und hat immer gesagt „Trink Du zuerst!“, ich habe dann einen Schluck genommen, er hat kurz gewartet und dann hat er die Milch genommen. Mein Vater hatte viele schlimme Verletzungen, als er gestorben ist, das hat man gesehen. (…).“

Alte Männer eben.

Die Kirschkern sitzt jetzt an der Kasse eines boomenden Belegte-Brötchen-Dienstes. Imperiums. Frankfurter Allee oder Alexanderplatz wechselweise. Sie wohnt in meiner nach wie vor bescheidenen Bleibe in der großen Stadt, weshalb ich mich dort derzeit kaum blicken lasse. Und erfährt Lebens- und Arbeitswelten, die denen ihrer früheren Zeiten sicherlich sehr fremd oder andersgestaltig sind. Mir gefällt das. Natürlich auch, weil ich ähnliches seinerzeit erfuhr und mich dies einst bugsierte in weiterführende Erkenntnisse, die einem keiner mehr jemals nehmen kann.

Und also nun die zweite der zwei Anhörungen, die Betroffenen sagen ja gerne „Interview“, das klingt harmloser. Diese sind nun vonstatten gegangen. „Endlich!“, so rufen wir alle aus, und ritzen Kerben in die Schicksalswände. Und dazu, beide Protagonisten werden in dieser Woche achtzehn Jahre alt. Ein schöner Lebensschritt in fremder Gegend, dessen Wichtigkeit mitnichten einer solchen im Herkunftsland gleicht. Dort würde jetzt ggf. schon das zweite Kind geboren werden. Geburtstage und deren Feiern gibt es dort nicht so sehr. Wir jedenfalls waren Pizza essen mit Thunfisch, schließlich sind wir ja nun hier in Europa. Und werden das morgen Abend wieder frohgemut tun.

Die örtliche Volksbank derweil schickt postalisch Grüße und Glückwünsche und fragt nach geldlichen Zukunftsplänen der jungen Erwachsenen. Das ist gut so. Aber die Volksbanken sollten sich dann doch gelegentlich auch gleichermaßen dafür einsetzen, dass Bleibeperspektiven nicht nur für die den Urlaubsländern im Mahgreb Entflohenen anbeheimt werden. Sondern auch vielleicht den Zentralasiaten vom Hindukusch. Verantwortlich für diese üble Schieflage wahrscheinlich alte grüne weisse kiffende Männer. Gelegentlich vielleicht Paare, mithin alte weiße Frauen in bunten Tüchern mit Zähnen auf den Haaren. Um im hässlichen Bild zu bleiben, jenseits dem Umkehrschluss jedenfalls. Eigentlich nicht mein Ding.

Bereits übrigens seit mindestens 1982 wechsle ich die Strassenseite im spätnächtlich öffentlichen Raum, sollte eine Frau, gleich welchen Alters und welcher Statur, vor mir vorneweg herlaufen. Aber gewiss hänge ich das nicht an die große Glocke. Auch dann immer noch nicht, wenn mir doch bitte keine überengagierten weiblichen Teilnehmerinnen des derzeitigen Hochfeuilletons wohlwollend zu erklären versuchen wollen, wie meine alte weiße männliche Sexualität angeblich funktioniert.

S p e i s s

Emaille-Schild-Edition No. 12, "Speiß"

Emaille-Schild-Edition Nr.12
Titel: „Speiß“
Jahr: 11/2017
Maße: 7 x 20 cm
Technik: Email-Schild handgefertigt, unikatärer Charakter, grundemailliert, allseitig gewölbt, mit 2 Befestigungslöchern, Vorderseite Grund weiß, Schrift schwarz
Auflage: 20 Stück
Rückseite: Nummeriert, datiert, signiert

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Prof. Peter Grau

Peter Grau von hinten

Erst jetzt habe ich es erfahren, Peter Grau ist im Juli 2016 verstorben. Er war mein Lehrer im wichtigen und sicherlich überaus prägenden ersten Jahr an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste zu Stuttgart. Von und bei ihm habe ich das Zeichnen erlernt. Bekommen. Vier mal wöchentlich für fünf Stunden Kopf und Akt. Und dazu jene ersten Schritte in für mich damals völlig neue Welten wohlwollend begleitet, auch in der so genannten „freien“ Arbeit. Das hat er. Er hat stets unterstützt, gefördert, aber auch manches Mal missbilligend geschaut, in gleichwohl zugewandter zarter Ironie, auf zeitgeistige Moden oder künstlerische Selbstbetrügereien. Abgeraten, und oder: Zugeraten. Je nachdem, wer vor ihm stand, mit welchen künstlerischen Plänen und Anliegen. Er war Professor für die Grundausbildung. Und er war stets um persönlichen Abstand bemüht, wenn die künstlerische Ehrlichkeit leiden hätte können unter allzu viel Kungelei. Auch zwischen Generationen. Nie wollte er sich anbiedern diesbezüglich. Auch das habe ich von ihm gelernt. Er selbst: Ein feiner, sehr aufrechter und nicht lauter Mensch. Und ein begnadeter Zeichner. Und möglicherweise zu Unrecht derzeit im Oeuvre wenig beachtet. Wie ja so viele andere. Alles Dornröschen. Man kann ihn auch suchen im Internet und dann auch finden. Er trug oft weite ausgestellte Beinkleider und war meist barfuss im Schuh, wenn ich mich richtig erinnere. Das hat mir gefallen, von Anfang an. / Bild zeigt ihn bei einem gemeinsamen Spaziergang nahe Bodman am Bodensee, während Betreuung einer Grundklasse der Akademie ebendort für eine Woche, mit Schirm als Stock.

Weihnachtsmarkt in Kabul

Wie also in jedem Jahr waren wir, die Köchin und ich, einmal wieder unterwegs ein Wochenende lang im Dezember. Bevor der ganze Weihnachtstrubel, vor allem ja für die Köchin, so richtig losgeht. Unser Ziel diesmal: Die afghanische Hauptstadt Kabul. Das war auch völlig normal. Niemand fand das komisch. Irgendwann waren wir einfach dort. Es gab einen Bustransfer durch die Stadt, entlang eines Flusses, freundliche Menschen in landestypischen Gewändern grüßten uns interessiert. In einer schönen und eng bebauten Altstadt, die ein wenig an das mittelalterlich historische Rom eines Campo del Fiori erinnerte, bezogen wir unser Zimmer im dritten Stock. Ein schönes Bett, Kommoden, Gemälde an den Wänden, schwere Vorhänge und hölzerne Lamellenschlagläden an den hohen Fenstern. Die Köchin wollte sich schnell frisch machen für unseren Besuch des Weihnachtsmarktes in den engen Gassen und zog unbekümmert ihre Oberbekleidung aus, was mich veranlasste, schnell die dem Nachbarhaus nächstgelegenen Fensterläden zu schließen. „Das kannst Du hier doch nicht einfach so machen, wenn die Dich im Unterhemd sehen!“ zischte ich ihr kopfschüttelnd zu, während ich noch sah, wie verhüllte Gestalten hinter Gardinen verstohlen zu uns hinübersahen und dann schnell verschwanden. Überhaupt nahmen nun plötzlich die Bedenken über unser adventliches Vorhaben zu. Im Traum ändern sich die Dinge ja manchmal unwirklich schnell. Ich betrat den kleinen Balkon des Zimmers, gegenüber wurde gegrillt, man grüßte mich zwar immer noch freundlich, aber meine Angst wuchs, dort ein allzu leichtes Ziel für Beschuss abzugeben. Sicherlich hatte sich die Nachricht über die Ankunft zweier westlicher Touristen – und Ungläubiger obendrein – schon herumgesprochen, die ganze Stadt, das ganze Land sei ja voll von Spionen und Informanten, so hört man immer wieder. Und mit Gewissheit waren schon Taliban oder Andere unterwegs, mit dem lohnenden Ziel, uns so schnell wie möglich mit automatischen Waffen oder Kleinbomben ins Jenseits zu befördern. Ich erinnere dann noch einen kleinen Rundgang zu zweit durch die schöne Altstadt, die Köchin war unbekümmert und interessiert an den Auslagen in den Geschäften, mir aber saß nur noch die bloße Angst vor einem Knall im Nacken. Ich schob uns hastig, mich stets misstrauisch nach allen Seiten hin umblickend, von Deckung zu Deckung. Bis ich schließlich aufwachte.

Vielleicht begründen sich diese träumerischen Erwägungen meinerseits damit, dass ein gemeinsamer Besuch in der Heimat der Jungs gestern Abend einmal wieder ein schönes, gleichwohl illusorisches, Gesprächsthema gewesen war. Und wie schön das aber doch wäre, wäre es möglich. Wenn die Beiden uns irgendwann einmal ihr wunderbares Land zeigen könnten, über das sie oft mit leuchtenden Augen erzählen. Auch wenn sie das angesichts der fast täglichen Schreckensmeldungen von dort zunehmend anstrengt. Und traurig macht.